Dokumentation einer Entsorgungs-Geschichte, Autor Martin
Forter
Die
Sündenspur von damals bis heute
Die Entsorgung von Abfällen aus der Produktion ihrer
hochrentablen Produkte verfolgt die Chemie-Industrie bis
auf den heutigen Tag
VON MARTIN FORTER
Keiner hat die Geschichte der - wie er sie nennt -
"Umweltnutzung" durch die Basler chemische
Industrie so fundiert untersucht wie
OnlineReports-Mitarbeiter Martin Forter. Seine
Dissertation* unter dem sinnigen Titel
"Farbenspiel" ist soeben in Buchform
erschienen.
Mehr als hundert Jahre lang - vom Beginn der ersten
Farbenproduktion Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum
Zweiten Weltkrieg - diente der Rhein der Basler
chemischen Industrie als Müllschlucker. Den festen
Chemieabfall kippte sie hinter den Fabriken am Rheinufer
ab, warf ihn durch ein Loch in der Mittleren Rheinbrücke
in die Fluten des Stromes (1860 bis 1870), schwemmte ihn
später, zerrieben in den sogenannten
"Dreckmühlen", mit dem Abwasser in den Rhein
oder liess ihn von der Strömung des Flusses aus dem
Bauch der sogenannten Girrfähre schwemmen (1916 bis etwa
1945).
Chemie: Stauwehr als Rheinverschmutzer
Frankreich baute in den 1930er Jahren unterhalb Basels
das Flusskraftwerk und Stauwehr Kembs. Da die Staumauer
die Strömung des Rheins reduzierte, schwemmte er den
meist farbigen Chemieabfall langsamer aus dem
Stadtgebiet. Dies verleitete einen Geigy-Angestellten zur
abstrusen These, "dass das Stauwehr, wenn auch nicht
direkt, für die Verschmutzung des Rheines doch kausaler
ist als die Industrie".
Die trockenen Sommer mit niedrigem Rheinwasserstand Ende
der 1940er Jahre und der rasant steigende Wasserbedarf
der wachsenden Stadt sowie der florierenden Industrie
machten die Nutzung des Rheins als Abfalldeponie noch
besser sichtbar. Das setzte die Basler Firmen unter
Druck: Sie mussten den Strom vom festen Chemieabfall
entlasten und diesen an Land in Deponien beseitigen.
Als erste legte die Ciba ihre Dreckmühlen still und
liess ihren Chemiemüll ab 1946 in die
"Lippsgrube" der südbadischen Grenzgemeinde
Weil am Rhein fahren. "Da hat's in allen Farben bunt
geschillert", erinnert sich ein Augenzeuge, weshalb
das Landratsamt Lörrach 1951 aus Sorge um das
Grundwasser die Ablagerungen in der
"Lippsgrube" verbot. Nun wich die Ciba in die
Feldrebengrube in Muttenz (BL/CH) aus. Sie liegt am Rande
des seit 1951 neu von Basel-Stadt als Trinkwasserquelle
genutzten Grundwassergebietes "Hard". Die
beiden Basel planten, das dortige Grundwasser mit
versickerndem Rheinwasser anzureichern. Obwohl ein
Gutachten vor einer Verschmutzung der Trinkwasserbrunnen
gewarnt hatte, deponierten die Ciba und die Geigy ihren
Chemieabfall in der "Feldrebengrube".
Ausweichen in elsässische und badische Nachbarschaft
Als 1955 das erste Gewässerschutzgesetz der Schweiz in
Kraft trat, legte auch die Sandoz AG ihre Dreckmühlen
still. Weil sie befürchtete, dass das neue Gesetz in der
Schweiz Haftungsansprüche Dritter legitimiert, liess die
Sandoz ihren Giftmüll bis 1961 in die "Gravière
Nord" in der elsässischen Grenzgemeinde St. Louis
fahren.
1957 trat aus einem Grundwasserbohrloch zwischen
"Feldrebengrube" und Trinkwasserversorgung
"Hard" eine stinkende, orange und phenolhaltige
Brühe aus. Da die Baselbieter Regierung nun ein
Ablagerungsverbot erliess, machten es die Geigy und die
Ciba nun der Sandoz nach und liessen ihren festen
Chemieabfall im französischen und deutschen Grenzgebiet
abkippen: Im "Le Letten" in Hagenthal-le-Bas
(F), im "Roemisloch" bei Neuwiller (F) und im
Hirschacker sowie in der Kesslergrube in Grenzach(D).
Bach kam grün, dann rot und gelb
Erst um 1960 gelang es den deutschen und französischen
Behörden, die wilde Ablagerei an der Grenze zur Schweiz
zu unterbinden. Nun stapelte sich der Chemiemüll auf den
Fabrikarealen. Einen anderen Platz im Umfeld der Basler
Fabriken liess sich nicht mehr finden. Zu schlecht waren
die Erfahrungen mit den Giftrückständen in der
Vergangenheit gewesen. Zum Beispiel in der Grenzgemeinde
Neuwiller (F): "Eines Tages kam der kleine Bach aus
dem Roemisloch grün, am nächsten rot, dann
gelb." Später hing mehrere Male "eine
Dampfwolke in der Luft über dem Dorf", erzählt der
ehemalige Bürgermeister Frédéric Schoeffel. "Es
war wie Nebel. Er verursachte Atemnot."
Ähnliches geschah fast überall, wo die Basler chemische
Industrie ihren Abfall hinbrachte. So duldete 1961 keine
Gemeinde mehr eine Chemiemülldeponie. Der Industrie
blieb "nur der Transport in eine sehr weit entfernte
Grube übrig". Denn 1961 entdeckte die Basler
Chemische Industrie (BCI) zwischen den beiden Gemeinden
Bonfol (heutiger Kanton Jura) und dem elsässischen
Pfetterhouse eine ausgebeutete Tongrube an der Grenze zu
Frankreich. Niemand wusste damals in der
strukturschwachen Ajoie, was Chemiemüll ist. Er kam
offen und in Fässern. Was für Stoffe in die Grube an
der französischen Grenze geleert wurden, hielt niemand
fest.
Bonfol als "mustergültiges Projekt" gelobt
Wie die Vorgängerdeponien in der Region Basel war auch
die Grube Bonfol weit herum zu riechen: In einer Petition
beschwerten sich 1966 die Bewohnerinnen und Bewohner von
Pfetterhouse über Giftwolken aus der benachbarten
Chemiemülldeponie. Die Geigy bestritt deren Existenz.
Firmenintern aber berichtet ein Ciba-Mitarbeiter: Die
"Immissionen" rund um die Grube in Bonfol
"widersprechen (...) so ziemlich allen kantonalen
Baugesetzen". Trotzdem schrieb die Basler
"National-Zeitung" 1968, die Deponie in Bonfol
sei "ein mustergültiges Werk".
Schon zu Beginn der 1960er Jahre hatte ein Geologe die
J.R. Geigy AG gewarnt: Im Gegensatz zu den vorher in der
Region Basel aufgefüllten Kiesgruben sei die Tongrube in
Bonfol gegen das Grundwasser hin dicht. Deshalb bestehe
die Gefahr, dass sich die Deponie mit Wasser fülle.
Geigy glaubte, die Sache mit einer Lehmabdeckung des
Chemieabfalls und einer Drainage für das Sickerwasser in
den Griff zu bekommen. Doch die Wassereintritte in die
von 1961 bis 1976 belieferte Deponie waren nicht zu
stoppen: Die Giftlagerstätte an der Grenze zu Frankreich
füllte sich langsam mit Wasser und drohte zu Beginn der
1980er Jahre ins Nachbarland abzurutschen. Die BCI
sicherte die Deponie für 28 Millionen Franken mit einem
wasserundurchlässigeren Deckel, einem neuen
Drainagesystem für das Sickerwasser und einer
Kläranlage zu dessen Reinigung. Heute fordert die
Regierung des Kantons Jura von der BCI, dass sie den
gesamten Chemieabfall in der Grube in Bonfol ausgräbt
und in Sondermüllöfen verfeuert.
Auch Kölliken wartet auf Totalsanierung
Auch bei der Sondermülldeponie Kölliken im Kanton
Aargau ist gegenwärtig von Totalsanierung die Rede. Die
Lösung besteht wahrscheinlich - wie für Bonfol und die
Deponien in der Region Basel - im Ausgraben und
Verbrennen des Grubeninhalts. Kölliken wurde von 1976
bis 1985 mit Sondermüll beliefert. Etwa 10 Prozent des
eingelagerten Giftmülls kamen aus der Basler Industrie.
Wie in den 1950er Jahren im Umfeld der Deponien in der
Region Basel und in den 1960er und 70er Jahren rund um
Bonfol, beklagten sich auch in Kölliken die
BewohnerInnen des Dorfes schon kurz nach
Ablagerungsbeginn über Chemiekaliengestank,
Kopfschmerzen und Übelkeit. Die Aargauer Behörden
spielten die Symptome herunter: Der damalige Kantonsarzt
Max Buser bezeichnete die Beschwerden 1979 als
"psychosomatisch".
Sechs Jahre später schloss der Gemeinderat von Kölliken
die Sondermülldeponie. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden in
der Grube rund 300000 Tonnen Problemabfall
abgelagert. Täglich flossen rund 50000 Liter
verschmutzes Deponiesickerwasser in die örtliche
Kanalisation. Wie in Bonfol mussten die Deponiebetreiber
die Grube sichern: Sie installierten eine Kläranlage
für das Sickerwasser und eine Verbrennungsanlage für
die kontaminierte Luft aus der Deponie. Doch die Altlast
läuft noch immer aus. Eine geplantes Drainagesystem soll
bis zur Totalsanierung (Kosten geschätzt: 500 Millionen
Franken) ein weiteres Aussickern des Grubenwassers
verhindern.
Teuftal: "Die politisch mögliche Lösung"
Mit der öffentlichen Auseinandersetzung um die Gruben
Bonfol und Kölliken konnte die chemische Industrie nach
1985 in der Schweiz keine Chemiemülldeponie mehr
eröffnen: Wie schon 1961 in der Region Basel war Mitte
der 1980er Jahre in der ganzen Schweiz keine Gemeinde
mehr bereit, den Giftabfall vor ihrer Haustüre zu
dulden. Der Bund trug diesem Umstand auf Gesetzesebene
1990 mit der "Technischen Verordnung Abfall"
Rechnung. Sie verbietet die direkte Ablagerung von
Chemiemüll in der ganzen Schweiz. Deshalb musste die
chemische Industrie 1996 auch die zweite Nachfolgedeponie
von Bonfol in Teuftal bei Mühleberg (BE) schliessen. Sie
war 1976 erstmals durch die Basler Chemieindustrie
beliefert worden und hat ein Volumen von 300'000
Kubikmetern: Jedes Abfallfass wurde einbetoniert und
dessen Lage kartiert. Obwohl Hans Gubser, ehemaliger
Umweltbeauftragter der Ciba-Geigy, 1977 festhielt, die
Grube im Bernbiet sei nicht die technisch bzw. geologisch
beste, sondern die politisch mögliche Lösung gewesen,
ist bis heute in Teuftal noch nicht von einer
Totalsanierung die Rede.
Da in der Schweiz Mitte der 1980er Jahre keine neue
Chemiemülldeponie mehr zu finden ist, exportierte die
Industrie einen Teil ihres Abfall. Gleichzeitig bauten
die Basler Konzerne ihre Verbrennungsanlagen aus. Heute
verfeuern sie fast allen Chemiemüll. Seine Verbrennung
hatte die Finanzdirektion des Kantons Basel-Landschaft
schon 1957 gefordert: Nur weil der chemischen Industrie
die dazu notwendigen Spezialanlagen zu teuer seien,
könne das Baselbiet keine Chemiemülldeponien
bewilligen. Die Industrie wollte nicht hören und hat
noch acht weitere Gruben ausserhalb des Kantons
Basel-Landschaft beliefert. Dafür erhält sie heute die
Rechnung.
* Martin
Forter: "Farbenspiel - Ein Jahrhundert Umweltnutzung
durch die Basler chemische Industrie", Chronos
Verlag Zürich, 2000.
6.
Juni 2000
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